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  • Ulrike Freimuth

Innere Prozesse halten - Erfahrungen aus dem Dunkelretreat

Wie erstarrt liege ich auf dem Bett, in der Dunkelheit und Stille, Bewegung unmöglich. Der Brustkorb zugeschnürt. Alle Muskeln angespannt, bis auf die Knochen hinab. Das Atmen fällt immer schwerer. Ich will diese Starre nicht spüren. Ich will von dieser tiefen, grundlegenden Angst nicht lahm gelegt werden, wie paralysiert. Im Widerstand, nicht fühlen wollen, weder die Angst in mir, noch die Körperempfindungen. Das kann doch nicht sein, jetzt, am letzten Tag des Dunkelretreats. Es ist Nachmittag, in ca 2 Stunden wird das Licht wieder kommen, wird das Retreat zu Ende sein. Und ausgerechnet jetzt erwischt mich diese f** Angst volle Breitseite. Wo ich doch im Kopf schon hatte, dass ich in Freude und bereit für das Leben aus dem Dunkelretreat gehe. Das ich doch dann erzählen mag, wie heilsam, vielschichtig und befreiend die ganzen Erfahrungen, die inneren Prozesse waren. Und jetzt das hier. Ego sagt, das geht hier grade gar nicht, reiß dich zusammen und drück die Angst weg. Das innere Kind in mir aber ist ganz still und starr vor Angst. Die Kleine in mir, die so oft so viel Angst hatte, vor der Gewalt, den Strafen, davor, Fehler zu machen und die diese Angst nicht haben durfte, immer mutig und tapfer sein musste, um in meiner Familie zu überleben. Und dann gebe ich die volle Erlaubnis, lade ich genau diese Angst und das so unangenehme Körpergefühl ein, voll da zu sein, mich ganz zu nehmen, meinen Körper ganz zu nehmen. Und nochmals verstärkt sich die Starre, geht der Atem fast weg, zieht sich zurück. Kalt. Gelähmt, immer weniger am Leben irgendwie. Die Frage, die sich ausbreitet in mir: Was willst du mir zeigen, Angst, was ist deine Botschaft? Zuerst zeigt sich die Antwort: „Ich habe Angst zu leben“. Danach kommt: „Ich habe Angst zu sterben“. Die Angst wird nicht viel besser. Trotzdem ein tiefes Vertrauen in mir, dass ich den Prozess halten kann, dass es in die Heilung führen wird.

Dann dieser Satz in meinem Kopf, aus dem Nichts und doch wie ein Donner, kraftvoll: „Wer atmet, der lebt.“ In diesem Moment so klar, zurück zum Atem, bewusst einatmen, ausatmen, mich damit verbinden, tief. Den Körper wieder mehr fühlen. Mich bewusst auf meinen Körper konzentrieren, ihn so bewusst wie möglich wahrnehmen. Die Starre weicht mehr und mehr aus meinem Körper. „Wer atmet, der lebt“ hallt es in mir nach. Bewusst vertiefe ich den Atmen, führe den Atem in meine Lunge, den Bauch, nehme die Entspannung wahr, die sich mehr und mehr in meinem Körper ausbreitet. Ein Rest der Angst bleibt. Es ist nicht ganz geheilt. Der erste Abend dann mit natürlichem Licht, im Zimmer, noch viel zu zart und durchlässig, um jetzt einfach aus dem Retreatzimmer zu spazieren, in Kontakt mit anderen zu gehen. Möchte im Schutz des Zimmers bleiben. Nachspüren. Erst am nächsten Morgen - Ostermontag - der erste Spaziergang in die Natur. Ein natural high überkommt mich: Tiefe Freude, Lachen, die Farben der Pflanzen, die Kraft des Frühlings - alles, alles ist so wunderbar, nährend, schön, tief berührend. Viel Lachen, strahlen, mich ganz verbunden fühlen mit dem Leben, mit mir selbst, den Menschen. Das, was ich mir so sehr gewünscht hatte, kam eben einen Tag später. In seiner Zeit vollendet sich der Prozess, durch den ich während des Retreats gegangen bin. So viele innere Prozesse, Erkenntnisse. Und dann dieses Geschenk am Ende. Innere Prozesse halten: Vertrauen ist ein Zauberwort. Hingabe das andere. Erfahrung mit inneren Prozessen, möglichst mit professioneller oder wenigstens erfahrener und liebevoll zugewandter Begleitung. In den letzten ca. 5 Jahren habe ich gelernt, diese inneren Prozesse selbst gut halten zu können. Im Notfall auch „raus pendeln“ zu können, mich also nicht komplett überschwemmen zu lassen von schmerzhaften und intensiven Emotionen und Körperempfindungen. Ein schmaler Grad ist das zwischen wirklich Raum und Erlaubnis zu geben, damit sich der innere Prozess entwickeln kann, sich davon abzuschneiden oder sich davon überwältigen zu lassen und im Grunde damit eine Retraumatisierung herbei zu führen. Dieser allg. etablierte in der spirituellen Szene, dass man sich nur hindurch fühlen müsse durch die Gefühle und Emotionen halte ich mittlerweile für gefährlich. Gerade, wenn traumatische Erfahrungen im Hintergrund dabei sind. Dann ist das Nervensystem bereits in fast permanenter Alarmbereitschaft. Und das führt bei zu straken, nicht bewusst gehaltenen (hier sei der Begriff des Containments erwähnt) Emotionen und Prozessen zur Retraumatisierung und einem erneuten Gefühl von „Ich mache die schlimme Erfahrung wieder, jetzt und hier“, Das Gehirn bzw das Nervensystem und unsere inneren Anteile unterschieden nicht mehr zwischen dem, was jetzt ist und dem, was eigentlich der Vergangenheit angehört. Also ein feines Gespür und Bewusstsein dafür zu entwickeln, ob ein innerer, intensiver Prozess wirklich in die Heilung führen kann, wann es angesagt ist, sich noch dem Gefühl hinzugeben und wann es besser ist, aus dem Gefühl rauszugehen, wieder sicheren Boden einzunehmen. Bewusst zu sein, welche inneren Anteile sich in den verschiedenen Emotionen und oft Sätzen zeigen. Das ist für mich die Kunst des Heilens und eben nicht auf Biegen und Brechen fühlen, fühlen, fühlen, rein gehen. Es ist eben oft auch besser, sich heranzutasten, an alten Schmerz, an alte Trauer, Angst und Wut. Dann kann sich wirklich etwas lösen, heilen und kann vor allem integriert werden. Das sind meine Erfahrungen und Lernprozesse der letzten Jahren, in vielen Therapiesitzungen, Selbsterfahrungsworkshops und Meditationen. Und viele dieser Erfahrungen waren für mich eben nicht heilsam, sondern haben zur Verstärkung der alten Traumatisierungen geführt. Je sanfter und mir selbst liebevoll zugewandt ich in die inneren Prozesse einsteigen und durch sie gehen kann, umso stärker ist für mich der Heilungseffekt. Genau so begleite ich meine Klient*innen in Einzelsitzungen, was berührend und tief erfüllend ist, wenn sich Heilung im Gegenüber einstellt. Manchmal nehmen wir das Systembrett zur Hilfe, um Verstrickungen im Familiensystem zu sehen und vor allem, um in Kontakt mit den verschiedenen inneren Anteilen zu gelangen und diese überhaupt klar sehen zu können. Für heute reicht es. Ich hoffe, der Text ist inspirierend und heilsam für dich. Herzensgruss von Ulrike

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