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  • Ulrike Freimuth

Einsamkeit als Traumafolgestörung

Wie viele qualitativ wirklich gute Freundschaften hast du in deinem Leben? Fühlst du dich in ein sicheres soziales Netzwerk eingebunden? Fühlst du dich mit dir selbst gut verbunden? Lebst du eine gute Balance von Zeit mit dir alleine und Zeit in sozialem Kontakt?


Wenn du auf diese Fragen oft Nein geantwortet hast, kann es sein, dass du dich in deinem Leben einsam fühlst. Einsamkeit ist ein Phänomen, das in unserer modernen Gesellschaft immer mehr Menschen betrifft. Es gibt aktuelle Studien, deren Ergebnisse aussagen, dass ca. ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland sich oft einsam fühlt. Und das betrifft nicht die Menschen, die über 65 Jahre sind, sondern die jüngeren Generationen.


Gibt man bei Google den Begriff “Einsamkeit” ein, erscheinen erstaunlich viele Artikel, YouTube Videos und Podcastfolgen. Sicherlich war die Corona-Geschichte ein Katalysator für das Interesse an der Einsamkeit. Fakt ist aber auch, dass wir gesellschaftlichen und ökonomischen Strukturen unterliegen, die eine zunehmende Vereinsamung der Menschen befeuern.


Ein Mensch, der an chronischer Einsamkeit leidet, hat eine höheres Risiko früher zu sterben, vergleichbar mit dem Konsum von 15 Zigaretten täglich. Manfred Spitzer, ein renommierter Hirnforscher, erklärt Einsamkeit zu einer Krankheit, die starke Auswirkungen auf die Gesundheit hat, also in Folge zB zu Krebserkrankungen führen kann. Einsamkeit hat natürlich vor allem einen großen Einfluss auf das Wohlbefinden und die Lebensqualität eines Menschen.

Dabei wird Einsamkeit sehr subjektiv empfunden, da wir individuelle Bedürfnisse nach sozialer Interaktion haben. Der eine braucht mehr Zeit für sich alleine, um zu regenerieren, der andere mag lieber Gesellschaft von Menschen, um sich gut und eingebunden zu fühlen. Und der nächste fühlt sich inmitten vieler Menschen völlig einsam.


Steckt man in der Spirale der Einsamkeit drin, wird es mit fortschreitender Zeit immer schwieriger wieder ins soziale Leben einzusteigen. Scham ist hier ein starker Aspekt, grade in Zeiten von ach so großer digitaler Vernetzung via social media. Auch verlernen wir tatsächlich immer mehr, die Mimik und Körpersprache anderer Menschen richtig zu interpretieren (ich gehe jetzt besser nicht auf das Thema Maskenpflicht ein…) und interpretieren diese als negativ bzw. stufen andere Menschen schneller als gefährlich ein. Natürlich hängt das auch mit unseren Bindungserfahrungen in der Kindheit und Jugend zusammen, in der wir uU ein generelles Mißtrauen Menschen gegenüber entwickeln mussten, da uns uU unsere nahen Bezugspersonen mit Zurückweisung oder auch Gewalt oder emotionalen Missbrauch verletzt haben.



Einsamkeit als unbeantwortete Frage unseres Bindungssystems


Betrachten wir das Phänomen Einsamkeit vor dem Hintergrund unseres Bindungssystems, stellen wir schnell fest, dass Einsamkeit eine natürliche Reaktion ist, die absolute Berechtigung hat.

Als Menschen waren wir bereits in der Steinzeit und sind es auch jetzt noch (biologisch betrachtet) darauf angewiesen, zu einer Gruppe zu gehören, um zu überleben. Das ist biologisch in uns so angelegt. Auch wenn wir darauf mittlerweile vielleicht nicht mehr existentiell angewiesen sind, so wirken doch diese neuronalen und biologischen Faktoren in uns.


Ein kurzer Exkurs zur spirituellen Szene…

“Man muss sich erstmal selbst lieben und mit sich alleine sein können, bevor man in einer erfüllten Partnerschaft, in schönen Freundschaften, etc. sein kann.” Wie oft habe ich diesen Satz in der spirituellen Szene gehört und gelesen… Und dann so viel Kraft und Energie darauf verwendet, endlich wirklich alleine klar zu kommen, das Leben alleine meistern zu können und eben niemandem zur Last zu fallen, bloß nicht um Hilfe bitten und auch viele emotionale Prozesse allein halten zu können. Und mittlerweile kann ich sagen, dass ich all das gut kann. Aber genau das ist eine direkte Fortsetzung meiner tiefsten Glaubenssätze, meiner Erfahrungen und Prägungen in der Kindheit und hat mich in eine tiefe Einsamkeit geführt. Zum Glück drehe ich meinen Kurs gerade wieder mehr Richtung social life, kann Menschen wieder näher an mich heranlassen, um eben einfach Quality-Time miteinander zu verbringen.


Muss ich mich erstmal selbst lieben, um dann schöne Kontakte leben zu können?


Mit all dem gelernten Wissen über Trauma und den Erfahrungen der letzten Jahre möchte ich mich hier sehr davon distanzieren, dass es heilsam oder wirklich gut wäre, erstmal alles alleine zu “reparieren”, was in uns verletzt ist. Bei vielen Traumata ist es sogar essentiell für die Heilung, dass andere Menschen traumsensibel begleiten oder als Freund:innen liebevoll da sind, um positive Bindungserfahrungen zu ermöglichen und um das autonome Nervensystem zu regulieren (in der sogenannten Co-Regulation).


Viele Menschen haben sogenannte “Men-made-Trauma” erfahren, also wurden von nahen Bezugspersonen tief verletzt. Und das oft in einem Alter, in dem wir noch keine Chance hatten, dem zu entfliehen oder uns zu schützen. Wir waren darauf angewiesen, von diesen Bindungspersonen versorgt und im besten Fall auch liebevoll umsorgt zu werden.


Unser inneres Bindungssystem ist darauf ausgelegt, Bindung herzustellen, indem wir Kontakt aufnehmen, zB zu unserer Mutter, unserem Vater. Das kann man bereits bei Säuglingen sehen, die die Mutter anlächeln und versuchen, in Blickkontakt mit der Mutter zu treten. Werden diese Kontaktversuche nicht positiv beantwortet, also reagiert die Mutter zB mit Gleichgültigkeit oder mit Genervtheit, hat das bereits nach 2 Minuten (!!!) eine direkte Auswirkung auf den Säugling, der dann zu weinen beginnt. Dies kann sich bis in eine Verzweiflung des Babys und einen im Grunde genommen Shut down steigern, wenn das Baby resigniert und Nichts mehr macht, also still wird, sich in sich selbst zurückzieht.


Das sind bereits frühe Traumata, die unser weiteres Bindungsverhalten prägen. Natürlich ist es auch wichtig, die weiteren Bindungserfahrungen in der frühen Kindheit, besonders bis zum Alter von 6 Jahren zu betrachten. Auch hier gilt die Frage: Wie gut wurde unsere Bindungsfrage im Außen beantwortet? Haben wir uns sicher, geborgen, auch gesehen und geliebt gefühlt? Oder haben die Erfahrungen Verletzungen ins uns ausgelöst, die bis heute in unser Leben wirken?


Was hat Einsamkeit damit zu tun?


Wenn wir bereits in frühen Jahren solche unglücklichen Erfahrungen machen mussten, bringt das zum einen ein entsprechend unsicheres Bindungsverhalten hervor, was es uns erschwert, stabile zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen und zu erhalten.

Wir entwickeln Kompensationsstrategien, die von einer Überanpassung bis eben völliger Isolation von Menschen führen. An dieser Stelle kann auch das Thema toxische Partnerschaft angeführt werden. Wir vermeiden dann um jeden Preis ein Allein-sein bzw. eben einsam, verlassen fühlen und reproduzieren die verletzende frühkindliche Bindungserfahrung.


Fühlen wir uns einsam, haben wir uns selbst und all die verletzten inneren Anteile IN uns verlassen. Die Einsamkeit, die wir im Außen irgendwann gespiegelt sehen, durch zB wenig soziale Kontakte, findet zunächst in unserem Innern statt. Wir sind nicht in der Lage, uns diesen inneren Anteilen wohlwollend, liebevoll und mit der grundlegenden Intention des Selbstmitgefühls zu zuwenden. Oftmals gehen wir dann auch noch on top hart mit uns selbst um, verurteilen uns dafür, uns einsam zu fühlen, es nicht zu schaffen, einfach einen guten Freundeskreis aufzubauen, etc.


Wege aus der Einsamkeit


Aber genau dieses Selbstmitgefühl kann ein erster, wichtiger Schritt aus der inneren Einsamkeit sein. Ein liebevolles uns selbst und vor allem den verlassenen inneren Anteilen begegnen, bringt bereits etwas Heilung. Wir beginnen, mit uns selbst wieder in Kontakt zu treten. Das kann nach und nach bereits eine erste Erleichterung schaffen.


Gleichzeitig ist es wichtig, uns Menschen an unsere Seite zu holen, die uns zB dabei unterstützen, die traumatisierten Anteile zu integrieren. Solange diese nicht gut adressiert werden, bleibt ein Großteil unserer Lebensqualität auf der Strecke, da diese Anteile regelmäßig aktiviert werden und Gefühle der Einsamkeit verstärken können. Sie wollen nicht verlassen zurückgelassen werden, sondern möchten endlich gesehen, gehört und vor allem gefühlt werden. Gelingt uns das mit Hilfe von zB traumsensibler Begleitung, erobern wir uns ein Stück weit die Fähigkeit zurück, uns überhaupt wieder auf zwischenmenschlichen Kontakt einlassen zu können. Es ist also ein Wechselspiel von im Innen die Verlassenheitswunde zu heilen und gleichzeitig wieder Kontakt mit anderen Menschen zu leben.


Denn was uns wirklich nährt, sind qualitativ gute, liebevolle, tiefe, ehrliche und zugewandte Kontakte, in denen wir uns tatsächlich so zeigen können, wie wir wirklich sind. Und nicht so, wie ein tolles Social Media Profil glänzen (und blenden) sollte.


Es hat etwas damit zu tun, zu unserer Menschlichkeit zurückzukehren, diese anzuerkennen und in unseren Begegnungen zu leben. Denn auch Rollen spielen zu müssen, Funktionen zu übernehmen in zwischenmenschlichen Beziehungen, lässt uns das Gefühl der Einsamkeit verstärken, da wir uns nicht authentisch zeigen können und tief in uns spüren, dass letztlich nicht wir als Person XY in unserer Einzigartigkeit gemeint sind, darin gesehen und dafür gewertschätzt werden, wer wir jetzt sind - ohne eine Funktion für den anderen zu erfüllen.


Also, jetzt könnten noch all die platten Tipps folgen, wie man aus der Einsamkeit noch aussteigen kann, wie zB melde dich doch zu einem VHS Töpferkurs an oder trete dem Hasenzüchterverein bei oder, oder…

Das lasse ich hier mal weg, da sich Heilung im Innen recht automatisch einen Kanal im Außen suchen wird, wir Wege finden, tatsächlich wieder mehr social life zu zelebrieren, auf ganz natürliche Art und Weise, intrinsisch motiviert. Und das kann auch eine sehr spannende Reise sein, zu sehen, wo es dich wirklich hinzieht und welche neuen Hobbys sich daraus entwickeln können :)


Solltest du daran interessiert sein, die Einsamkeit gemeinsam mit anderen Menschen ein Stück weit zu heilen, lade ich dich herzlich ein zu meinem Workshop “Aus der Einsamkeit in die Verbundenheit”. Termine und genaue Informationen findest du auf meiner Webseite.


Alles Liebe,

Ulrike








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